Jürgen Kramer präsentiert US-Senator Byrd (FAZ)
|
DIESER KRIEG IST FALSCH, 1.Mar.2003 14:15
|
Frankfurter Allgemeine Zeitung l. März 2003,
Dieser Krieg ist falsch
Die Weltgeschichte am Wendepunkt / Von Robert C. Byrd
[ George W.Bush, dieser Eindruck ist in der Welt verbreitet, braucht den Rat ei- nes erfahrenen Mannes. Unter den akti- ven Politikern in den Vereinigen Staa- ten hat niemand größere Erfahrung als Robert Carlyle Byrd. Geboren 1917 in North Carolina, vertritt der Bergmanns- sohn, der auf dem zweiten Bildungsweg die Rechte studierte, seit1953 West Vir- ginia im Kongreß, seit 1959 als Senator. Der Demokrat und frühere Mehrheits- führer, als dienstältestes Mitglied der Kammer "Vater des Senats", gilt als mo- ralische Instanz nicht nur in parlamen- tarischen Protokollfragen. "Ich bin das einzige verbleibende Kongreßmitglied, das 1954 hier war, als wir der Pledge of Allegiance die Worte "under God" hin- zufügten. " So begann Byrd vor vier Jah- ren seine Rede im Amtsenthebungspro- zeß gegen Präsident Clinton. Ebenso persönlich, in jenem klassischen Stil, der Stunden der Entscheidung angemes- sen ist, hat Byrd am 12. Februar 2003 im Senat über den drohenden Krieg ge- sprochen. F.A.Z.]
(AUSZÜGE AUS DEM HEUTIGEN FAZ-ARTIKEL:)
Krieg in Erwägung ziehen heißt über die schrecklichste aller menschlichen Erfahrun- gen nachdenken. An diesem Tag, da die Na- tion vor der Entscheidung steht, muß sich jeder Amerikaner auf seine Weise die Schrecken des Krieges vor Augen führen. Aber dieses Haus bewahrt weitgehend Schweigen - ein verhängnisvolles, gefährli- ches Schweigen. Es gibt keine Debatte, kei- ne Diskussion, keinen Versuch, der Nation das Für und Wider dieses besonderen Krie- ges darzulegen. Nichts davon. Wir hier im Senat verharren passiv und stumm, ge- lähmt von unserer Unsicherheit, wie be- nommen von den Ereignissen, die auf uns einstürmen. Nur auf den Leitartikelseiten unserer Zeitungen findet eine Diskussion über die guten oder schlechten Gründe für diesen Krieg statt. Wir erwägen, einen Brand zu legen, der nicht leicht beherrschbar sein wird. Hier geht es nicht einfach darum, einen Schur- ken unschädlich zu machen. Wird dieser drohende Krieg Wirklichkeit, markiert er einen Wendepunkt in der Außenpolitik der Vereinigten Staaten und womöglich einen t Wendepunkt in der Weltgeschichte unserer Zeit. Diese Nation ist im Begriff, eine revo- lutionäre, zu einem unseligen Zeitpunkt aufgestellte Lehre ihrer ersten Belastungs- probe auszusetzen. Die Lehre vom Präven- j tivkrieg - die Idee, daß die Vereinigten Staaten oder eine beliebige andere Nation das Recht haben, eine Nation anzugreifen, die keine unmittelbare Bedrohung dar- stellt, aber in Zukunft zur Bedrohung wer- den könnte, diese Lehre ist eine ganz neue Verdrehung der traditionellen Idee vom Recht auf Selbstverteidigung. Allem Anschein nach bedeutet sie einen Verstoß gegen das Völkerrecht und .gegen die UN-Charta. Und sie soll zu einem Zeit- punkt erprobt werden, da der weltweite Ter- rorismus viele Völker rund um den Globus so unsicher macht, daß sie sich fragen, ob sie schon auf unserer oder einer anderen Li- ste der Angriffsziele vorgemerkt sind. Als kürzlich ein möglicher Angriff auf den Irak erörtert wurde, weigerten sich hochrangige Regierungsbeamte, den Einsatz von Atom- Waffen aus der Diskussion auszuschließen. Was kann destabilisierender und unsinni- Ger sein als eine Unsicherheit dieser Art, zu- mal in einer Welt, deren Globalisierung dazu führt, dass die lebenswichtigen Wirt- schafts- und Sicherheitsinteressen vieler Na- tionen miteinander verkette sind? (...) Wir mögen über eine massive Militär- macht verfügen, aber wir können den globa- len Kampf gegen den Terrorismus nicht al- lein führen. Wir sind auf die Kooperation und die Freundschaft unserer bewährten Bündnispartner genauso angewiesen wie auf die neuen Freunde, die wir mit unserem Wohlstand an uns ziehen können. Unsere eindrucksvolle Militärmaschinerie wird uns wenig nützen, wenn wir einen weiteren ver- heerenden Angriff auf unser Land hinneh- men müssen, der unserer Wirtschaft schwe- ren Schaden zurügt. Unsere Streitkräfte sind schon jetzt an der Grenze ihrer Kapazi- tät, und wir werden die Unterstützung je- ner Nationen brauchen, die uns Truppen zur Hilfe schicken können und nicht nur Briefe zur Stärkung unserer Kampfmoral unterzeichnen. Der Krieg in Afghanistan hat uns bis jetzt 37 Milliarden Dollar geko- stet, und trotzdem gibt es Anzeichen dafür, daß das Terrorregime in dieser Region schon wieder Fuß faßt. Wir haben Bin Ladin nicht gefunden, und wenn wir den Frieden in Afghanistan nicht sichern, könnten die Terroristen das abgelegene, verwüstete Land von ihren ver- steckten Höhlen aus erneut beherrschen. Auch Pakistan ist von destabilisierenden Kräften bedroht. Unsere Regierung hat den ersten Krieg gegen den Terrorismus noch nicht zu Ende gebracht, und trotzdem brennt sie darauf, sich in einen neuen Kon- flikt zu stürzen, der viel größere Gefahren birgt als Afghanistan. Erlahmt unsere Auf- merksamkeit so schnell? Haben wir nicht gelernt, daß man nach einem gewonnenen Krieg den Frieden sichern muß? Und doch hören wir wenig von Plänen für die Zeit nach dem Krieg im Irak. Da es keine Pläne gibt, schießen Spekula- tionen ins Kraut. Werden wir die irakischen Ölfelder beschlagnahmen und in der nähe- ren Zukunft als Besatzungsmacht den Preis und die Zuteilung des Öls dieser Nation be- stimmen? Wem wollen wir die Regierungs- geschäfte übertragen, wenn Saddam Hus- sein ausgeschaltet ist? Wird unser Krieg die islamische Welt in Brand setzen und damit verheerende Angriffe auf Israel auslösen? Wird Israel mit seinen Atomwaffen zurück- schlagen? Werden die Regierungen in Jor- danien und Saudi-Arabien von Radikalen mit Hilfe Irans gestürzt, der dem Terroris- mus viel enger verbunden ist als der Irak? Kann eine Unterbrechung der Ölversor- gung des Weltmarktes zu einer weltweiten Rezession führen? Hat unsere unsinnig kriegerische Sprache im Verein mit unserer groben Mißachtung der Interessen und Mei- nungen anderer Nationen das globale Wett- rennen um die Zugehörigkeit zum Club der Atommächte weiter angeheizt? Im Verlauf von nur zwei Jahren hat diese rücksichtslose arrogante Regierung eine Po- litik in die Wege geleitet, die auf viele Jahre hinaus verheerende Folgen haben mag. Man kann den Zorn verstehen, der jeden Präsidenten unter dem Schock der furchtba- ren Anschläge vom 11. September ergriffen hätte. Man kann sich auch vorstellen, wie frustrierend es ist, nur Schatten nachzuja- gen und einen ungreifbaren Feind ohne kla- re Gestalt verfolgen zu müssen, an dem man kaum Vergeltung üben kann. Unver- zeihlich ist es jedoch, wenn eine Regierung, in deren Hand das Schicksal der größten Su- permacht der Welt liegt, die über furchter- regende Macht gebietet und hohe Verant- wortung trägt, wenn eine solche Regierung sich von ihrem Zorn und ihrer Frustration zu einer destabilisierenden und gefährli- chen Außenpolitik von der Art verleiten läßt, deren Zeuge die Welt derzeit ist. Viele Erklärungen dieser Regierung sind einfach ungeheuerlich. Anders kann man es nicht nennen. Und dennoch schweigt der Senat beharrlich. Wir stehen womöglich unmittelbar vor einem Schritt, der Tod und Zerstörung über die Bevölke- rung des Irak bringen wird - eine Bevölke- rung, die zu mehr als fünfzig Prozent aus Ju- gendlichen unter fünfzehn Jahren besteht -, und dieser Senat schweigt. Vielleicht dau- ert es nur noch Tage, bis wir Tausende unse- rer Bürger dem unvorstellbaren Horror che- mischer und biologischer Kriegführung aus- setzen, und dieser Senat schweigt. Viel- leicht steht uns ein heimtückischer Terror- anschlag unmittelbar bevor, eine Vergel- tungsmaßnahme für unseren Angriff auf den Irak, aber in den Vereinigten Staaten geht man zur Tagesordnung über. Es ist wahr, wir "schlafwandeln durch die Ge- schichte". Ich bete aus tiefstem Herzen, daß dieser großen Nation und ihren guten, vertrauensvollen Bürgern ein schreckliches Erwachen erspart bleibt. Ein Krieg ist immer ein Unternehmen mit unsicherem Ausgang. Ein Krieg muß immer der letzte Ausweg, er darf nicht die erste Wahl sein. Ich muß ernsthafte Zweifel anmelden am Urteilsvermögen eines Präsi- denten, der behaupten kann, daß ein massi- ver, nicht provozierter Militärschlag gegen eine Nation, die zur Hälfte aus Kindern be- steht, "den höchsten moralischen Traditio- nen unseres Landes" entspreche. Dieser Krieg ist zu diesem Zeitpunkt nicht notwen- dig. Der Druck auf den Irak hat offenbar eine günstige Wirkung. Wir haben den Feh- ler gemacht, uns zu schnell festzulegen. Nun haben wir die Aufgabe, uns mit Wür- de aus dem Käfig zu befreien, in den wir uns selbst gesperrt haben. Vielleicht finden wir noch einen Ausweg, wenn wir uns Zeit lassen. •
|
|